Digitale PR

Elon Musk als twitternder Visionär: Mit euch rede ich nicht!

Written by Patrick Wandschneider

23 November 2020

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Die Meinungen zu Tesla schwanken zwischen Schimpftiraden über Spaltmaße, wegfliegende Stoßstangen oder wegfliegende Dächer, und einem fast schon religiösen Personenkult um Tesla-Chef Elon Musk. Obwohl Tesla im Vergleich zu BMW, Daimler und Volkswagen nur einen Bruchteil der Fahrzeuge produziert und verkauft, weist das Unternehmen mit rund 400 Milliarden Dollar eine fast doppelt so hohe Marktkapitalisierung auf wie die drei deutschen Autobauer zusammen. Als Elon Musk im September die Baustelle der neuen „Gigafactory“ in Grünheide bei Berlin besuchte, wurde er von Journalisten und Fans empfangen wie ein Popstar. Doch jetzt bricht der schillernde E-Auto-Pionier plötzlich mit der Presse. Wie bitte? Richtig gehört, Tesla hat sein PR-Team in den USA vollständig aufgelöst. Damit dürfte Tesla der weltweit erste Autobauer ohne professionalisierte Öffentlichkeitsarbeit sein. Journalisten hatten dort ohnehin schon länger beklagt, auf Presseanfragen keine Antworten zu erhalten. Auch Stefan Keuchel, Teslas PR-Chef für die DACH-Region, verließ das Unternehmen bereits im August 2019. Die Stelle wurde bis heute nicht nachbesetzt. Das verwundert, denn selbst winzige E-Auto-Startups wie Sono Motors aus München leisten sich eigenes Personal zur Kommunikation.

Tesla-Kult um Elon ist Werbung genug

Das Verhältnis von Elon Musk zur Presse war bereits seit längerem angeknackst. So warf er Journalisten in der Vergangenheit immer wieder vor, Tesla unfair zu behandeln. Zuletzt fühlte er sich nach dem jüngsten Battery Day missverstanden, der allerdings auch Investoren weitgehend enttäuschte.

Wer künftig wissen will, was bei Tesla so los ist, der muss Elon Musk auf Twitter folgen. Denn der Konzernchef ist dort sehr aktiv, und kommuniziert höchstpersönlich mit seinen 39,4 Millionen Followern. Tesla erreicht die Öffentlichkeit mittlerweile hauptsächlich über seinen persönlichen Account sowie über den von Fans und Jüngern getragenen Kult. Tesla hat eine treue Fanbase um sich geschart, deren Einfluss und Engagement im Netz weit über den der harmlosen Apple-Store-Camper hinausgeht: Publikationen wie „Tesmanian“ oder „Teslarati“ erreichen über diverse Social-Media-Plattformen millionenfache Aufrufe und bieten News rund um den Tesla-Lifestyle an. Manchmal teilt Musk die Inhalte dieser Plattformen gleich selbst. Was diese allerdings nicht bieten: Faktenchecks oder unabhängige Recherche. Vielmehr besteht durch Werbeeinnahmen ein wirtschaftliches Interesse daran, regelmäßig positive und damit von der Fanbase vielgeklickte News rund um Tesla zu verbreiten. Man könnte sagen: Sie verkünden die frohe Botschaft im Namen des Herrn.

Regelmäßig nutzt Tesla auch Events wie den „Battery Day“ um Neuigkeiten anzukündigen und einen Ausblick auf kommende Produkte zu geben. Eine Möglichkeit für kritische Nachfragen durch Journalisten gibt es bei diesen Events nicht, denn der Teilnehmerkreis ist handverlesen. Mit dabei sein dürfen statt dessen YouTuber wie „Meet Kevin“, der seinen 919.000 Abonnenten anschließend anhand eines hanebüchenen Rechenmodells mit exponentiellen Kurven verkündet, dass Tesla bis 2030 rund 20 Millionen Fahrzeuge produzieren, Einnahmen von 1 Billion Dollar generieren und der Aktienkurs „möglicherweise“ bei 4.900 Dollar stehen wird. Überhaupt beschäftigen sich auffällig viele Social-Media-Kanäle mit dem Aktienkurs. Das Video einer Influencerin auf TikTok mit einer Kaufempfehlung anlässlich des Aktiensplits bei Tesla erzielte über 3 Millionen Aufrufe und über 500.000 Likes. Das Credo: „Kaufen, kaufen, kaufen, so günstig war die Aktie noch nie.“

Laut Lutz Frühbrodt, Professor für Unternehmenskommunikation an der Hochschule Würzburg-Schweinfurt, folgt Tesla hier dem neuen Trend der „Nicht-Kommunikation“, den schon andere Unternehmen aus dem Silicon Valley, wie beispielsweise Apple, vorgemacht haben. Statt mit Journalisten auf Augenhöhe über kritische Themen zu diskutieren, werden dabei lieber eigene Themen gesetzt und mit Hilfe von sozialen Netzwerken verbreitet.

In diesem Punkt lässt sich eine verblüffende Ähnlichkeit zu Donald Trump feststellen: Auch der US-Präsident ist bekanntlich kein Fan von kritischen Pressefragen und fühlt sich von „der Presse“ ungerecht behandelt. So beendete er letztes Jahr die traditionelle Praxis, dass sich Sprecher des Weißen Hauses regelmäßig den Fragen von Journalisten im Briefing-Raum zu stellen haben. Auch er agiert als „One-Man-Show“ auf Twitter und hat die Kommunikation seiner Administration auf sich zentriert.

Elon Musk twittert im Stile Donald Trumps

Auch beim Thema Corona sind die beiden Twitter-Heavy-User weitgehend einer Meinung. Die ohnehin schon unzureichenden Lockdown-Maßnahmen in den USA brandmarkte Elon Musk trotz der mittlerweile 220.000 Todesfälle als „übertrieben“. „Die Coronaviruspanik ist dumm“ und „Befreit Amerika jetzt“, belehrte er seine Follower in Großbuchstaben. Tagelang widersetze sich Musk einer Anordnung der Behörden zur Schließung seiner Fabrik in Fremont. Die Gesundheit der eigenen Mitarbeiter? Offenbar nicht so wichtig, obwohl laut einem internen Bericht zu diesem Zeitpunkt über 130 Corona-Fälle im Werk bestätigt waren. Mit den sprunghaft ansteigenden Verdachtszahlen galt die Tesla-Fabrik im County gar als regelrechter „Hotspot“. Am Ende war jeder zehnte Mitarbeiter betroffen. „Verhaftet mich doch!“, schimpfte Musk auf Twitter in einem ebenso denkwürdigen wie unwürdigen Schlagabtausch mit dem Social-Media-Team des Alameda County Sheriff‘s Office. Erst, als wirklich der Sheriff vor der Tür stand, schloss er das Werk.

Klumpenrisiko Musk: „China rockt“

Ob diese Strategie aufgeht? Zumindest für Donald Trump läuft es nach aktuellen Umfragen trotz 87 Millionen Followern nicht besonders gut. Und auch bei Tesla gibt es unangenehme Themen, über die Musk wohl lieber nicht twittert, die aber für Journalisten umso interessanter sein müssten. Nur leider liest man davon viel zu wenig. Für einen medialen Aufschrei haben Musks Einlassungen als Hobby-Virologe jedenfalls nicht gesorgt – ganz anders hingegen bei Schlagersänger Michael Wendler. Man muss eben Prioritäten setzen. Aber bitte die Richtigen!

Ein weiteres heikles Beispiel ist Musks gutes Verhältnis zum autoritär regierten China. Für den Bau der Gigafactory Shanghai wurde Tesla von chinesischen Staatsbanken mit Billig-Krediten über 1,6 Milliarden Dollar zu Zinsen deutlich unter dem Marktpreis unterstützt. Die guten Beziehungen zu hohen Regierungsbeamten sorgten auch dafür, dass die Fabrik in Shanghai trotz Corona nur für wenige Tage geschlossen blieb. Ein Grund für diese Gefälligkeiten ist sicherlich der chinesische Anspruch der Weltmarktführerschaft bei elektrischen Fahrzeugen. Musk bedankte sich artig und öffentlichkeitswirksam auf der „World Artificial Intelligence Conference“ in Shanghai, indem er verlauten ließ, China sei „die Zukunft“. Ein Propaganda-Erfolg zur rechten Zeit, denn die Staatsführung war gerade wegen der Proteste in Hongkong international in die Kritik geraten. In einem Interview mit „Automotive News“ legte er kürzlich nochmals nach: „China rockt!“. Auch diese Äußerung wurde in den staatlich kontrollierten Medien gefeiert.

Ein weiteres unangenehmes Thema sind die Arbeitsbedingungen bei Tesla. Denn die Fabriken von Tesla sind in den USA die einzigen Autowerke, in denen US-Gewerkschaften nicht vertreten sind. Es heißt, Mitarbeiter, die versuchten sich gewerkschaftlich zu organisieren, würden unter Druck gesetzt oder gleich entlassen. Warum lässt man Tesla sowas durchgehen? Wie groß wäre der Aufschrei, wenn Ford ähnlich agieren würde? Man darf gespannt sein, wie es diesbezüglich in Grünheide aussehen wird.

Fazit

Im aktuellen Jahresbericht wirbt Tesla: „Medienberichterstattung und Mund-zu-Mund-Propaganda sind derzeit die stärksten Treiber unseres Absatzes.“ Vielleicht sollten sich Journalisten als Vertreter der vierten Gewalt einmal fragen, weshalb sie ein Unternehmen so oft mit überschwänglichem Lob überhäufen, dessen Firmenchef nicht nur den eigenen Berufsstand verachtet und ein mindestens seltsames Demokratieverständnis an den Tag legt, sondern sich sogar mit Diktaturen wie China ins Bett legt, das in Hongkong gerade die Demokratiebewegung niederknüppelt. Ein kritischerer Blick würde nach Jahren der medialen Lobhudelei wirklich guttun und könnte helfen, die fest geschlossenen Reihen der Tesla-Medienmacher zu durchstoßen.

Titelbild: Chris J. Davis on Unsplash