Agenturleben

Alles gendern beim Schreiben, oder was (und vor allem wie)?

Written by Isabella Fröhlich

13 September 2022

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Weshalb das mit diesem Gendern beim Schreiben hinsichtlich Inklusion und Barrierefreiheit nicht so einfach ist – und warum man sich dennoch auf den Weg machen sollte

Kürzlich habe ich es einfach mal getan: ich habe beim Sprechen gegendert. Also im Gespräch „Kolleg:innen“ gesagt, mit Glottisschlag (also der kurzen kleinen Pause zwischen den „Kolleg“ und den „innen“). War irgendwie im ersten Moment komisch, im Sprachfluss so zu gendern, aber nicht komisch genug, um es zu lassen. Im Gegenteil – ich tue es immer öfter. Ha! Das Gendern beim Schreiben und Sprechen ist ja ein Thema, das die Gemüter erhitzt. Einige finden es unerhört, wenn man es nicht endlich tut (siehe auch Alisas Beitrag zum Thema „gendergerechte Sprache in der Unternehmenskommunikation“), andere (so auch ich) versuchen sich an den verschiedenen Varianten (siehe mein Beitrag zu Videocall-Regeln, den ich versuchsweise gänzlich im generischen Femininum verfasst habe) und wieder andere echauffieren sich an den realen und virtuellen Stammtischen dieser Welt, ob man denn gar keine anderen Probleme mehr habe und was der ganze Genderscheiß denn solle – und überhaupt, wer habe denn da was davon? Doch eh nur ein paar Hanseln, und die sollen sich, bitteschön, nicht so haben…

Und weil ich das ganz anders sehe, habe ich mich vor einiger Zeit bereits auf den Weg gemacht, mich mit dem Thema Gendern auseinanderzusetzen – nicht nur, weil es mir privat ein Anliegen ist, sondern ja auch für Kommunikationsberater:innen (😊 gar nicht schwer 😉) in der Beratung zu allen schriftlichen Inhalten immer mehr zum Thema werden wird. Abgesehen davon, dass die Rechtslage ja auch eindeutig ist: Bereits im Oktober 2017 hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass „Personen, die sich dauerhaft weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen lassen“, in ihren Grundrechten verletzt werden, wenn das Personenstandsrecht sie zwingen würde, sich als ein Geschlecht zu registrieren, zu dem sie sich nicht zugehörig finden. Mit „divers“ wurde das „dritte Geschlecht“ in den Geschlechtseintrag amtlich offizieller Dokumente eingeführt. Es wird also Zeit, das auch im Sprach- und Schriftgebrauch darzustellen und alle Menschen mit seinen Inhalten anzusprechen (so man das denn möchte).

Und so habe ich die anstehende Deadline meines Blogbeitrags zum Anlass genommen, mich (erneut) mit den verschiedenen Varianten des Genderns beim Schreiben auseinanderzusetzen – und damit, dass ein Miteinbeziehen der einen Gruppe zuweilen auch das Ausschließen von anderen Gruppen bedeuten kann. Thema Inklusion und Barrierefreiheit.

Gendern beim Schreiben – welche Variante hättens denn gern?

Mit Sternchen oder ohne? Oder lieber ein großes „i“, das beim Lesen für mich immer aussieht wie ein kleines „l“ [ʔɛl])? Was ist mit diesem Gender-Gap? Und wieso ist der Gender-Doppelpunkt, den ich für mich als praktikabel angesehen habe, vielleicht doch (noch) nicht die allerbeste Wahl? Welche Möglichkeiten gibt es, in der Schrift alle Geschlechter und Lebensweisen, also lesbische, bisexuelle, asexuelle, schwule, trans*, inter*, heterosexuelle und queere, zu inkludieren, ohne andere Menschen auszuschließen? Die Uni Konstanz beispielsweise hat sich für den Einsatz von gendergerechter Sprache in der Verwaltung entschieden. Hier hat man sich verpflichtet, „in allen Veröffentlichungen eine gendergerechte Sprache zu verwenden.“ Dabei lässt es die Universitätsleitung ihren Mitarbeitenden frei, welches Stilmittel sie, falls eine genderumschreibende Form nicht möglich ist, einsetzen.

Ich fasse hier mal eben kurz für Euch die gängigen Varianten zusammen:

Gender-Sternchen / Asterisk

Das Gender-Sternchen (Mitarbeiter*innen; Reporter*innen) ist das gängigste der Gender-Zeichen und wird deshalb besonders ausführlich betrachtet (es gibt hierzu einfach auch am meisten Material 😉). Der so genannte Asterisk gilt im Gendern beim Schreiben als Platzhalter für die Vielfalt der Geschlechter. Das klingt zunächst einmal sehr erfreulich und erstrebenswert.

Die Uni Bielefeld hat sich beispielsweise für die Einführung des Asterisks entschieden, denn gendersensible Sprache sei für eine „wertschätzende, faire und diskriminierungsfreie Kommunikation […] unverzichtbar.“ Mit der Verwendung des Gendersternchens, so liest man auf der Uni-Website, „trägt die Universität Bielefeld zu einer Gleichberechtigung und Sichtbarkeit aller Geschlechtsidentitäten bei.“

Für Jan Noll, Chefredakteur der Zeitschrift „Siegessäule“ in Berlin ist das Gender-Sternchen selbstverständlich. Die Zeitschrift erscheint seit 30 Jahren und adressiert ausdrücklich die queere Community. Fehler, so Noll, würden von seiner Leser*innenschaft deshalb nicht so leicht verziehen, wie einem Medium wie beispielsweise die „Berliner Zeitung“.

Viele Sternchen im Text machen es Menschen mit Leseschwäche jedoch extrem schwer, dem Geschriebenen zu folgen. Zudem ist das Gender-Sternchen für Sprachausgaben suboptimal. Blinde oder schlecht sehende Menschen, die auf Sprachausgaben angewiesen sind, hören nämlich beispielsweise „Reportersterninnen“ oder „Pilotsterninnen“. Das gesetzte * wird als Wort „Stern“ in den Text eingefügt. Wie gesagt, nicht optimal.

Ein weiters Problem liegt im Detail der deutschen Sprache. Was soll man mit Artikeln und Pronomen tun? Brauchen die denn auch ein Gender-Sternchen? Im Singular schon, so sagt das von Journalistinnen initiierte Projekt genderleicht.de, im Plural sei das nicht nötig. genderleicht.de empfiehlt im eigenen Textlabor-Tipp „der*die Reporter*in“ – und entsprechend im Plural „die Reporter*innen“. Allerdings ist der/die ja auch wieder binär… Wo das Probleme bereiten kann, sei hier exemplarisch anhand der „Siegessäule“ erklärt: Wenn deren Medienschaffende beispielsweise Menschen portraitieren, die sich keinem Geschlecht zuordnen, kommt das Sternchen ohne passendes Pronomen an seine Grenzen. Für nicht-binäre Menschen existiert noch kein System, um einen Text „geschmeidig“ zu machen. Noll entscheidet sich bewusst für eine „stilistische Trümmerwüste“, um die Identität der portraitierten Person nicht zu übergehen.

Genau an diesem Problem knüpft Lann Hornscheidt an. Hornscheidt setzt sich für die Etablierung des neutralen Pronomens „ens“ ein, um damit Menschen zu beschreiben. „Ens“ ist der Mitte von „Mensch“ entnommen – schon passend, oder was denkt Ihr? Hornscheidt ordnet sich selbst keinem eindeutigen Geschlecht zu. Ens Sprachwissenschaftlex beschäftigt sich intensiv mit Gender Studies. Ens sieht vor allem die Kreativität der Sprache als Chance.

Klingt erstmal komisch – aber auch daran könnte man sich sicherlich gewöhnen. Ich zumindest.

Gendern beim Schreiben | BerkeleyPR | Pronomen

Was gibt es noch?

Binnen-I / Gender-I

Das so genannte Binnen-I oder Gender-I, also das dazwischen gestellte, große „I“, soll Frauen und Männer in einem Wort erwähnen. Eine Revolution der 1980er Jahre, als in einer Welt des generischen Maskulinums Frauen auf einmal miterwähnt wurden. Tolle Sache, wirklich. Für diese Zeit ein großer Schritt. Das Binnen-I aber ist binär. Nicht erwähnt werden hier non-binäre Menschen, also Trans-Personen oder anders geschlechtliche Personen.

Sprachausgaben haben jedoch weniger Probleme mit dem Binnen-I, als mit dem Gender-Sternchen. Leider klingen die Ergebnisse nur wenig besser. Der Screenreader sagt dann „Reporter innen“ bzw. „Pilot innen“, als seien das zwei getrennte Worte, was den Lese-Hörfluss stören und unlogisch klingen lassen kann. Vielleicht ändert sich das, wenn der Glottisschlag sich im breiten Sprachgebrauch durchgesetzt hat. Aktuell jedoch auch nicht die perfekte Wahl.

Gender-Schrägstrich

Der Gender-Schrägstrich ist, ähnlich dem Binnen-I, binär und schließt nicht-binäre Menschen aus. Zudem liest ein Screenreader den Strich mit. Eine auf Sprachausgaben angewiesener Person hört also „Reporterschrägstrichinnen“. Dass das nicht perfekt ist, erschließt sich von selbst.

Gender-Gap / Gender-Unterstrich

Ähnlich wie das Gender-Sternchen, soll der Gender-Gap alle Geschlechter meinen, die Lücke mit Unterstrich soll den Raum für geschlechtliche Variationen öffnen. Das ist schön – sieht aber nicht so aus. „Reporter_innen“ werden zudem in Sprachausgaben zu „Reporterunterstrichinnen“ – das also schließt wieder mindestens die Personengruppe blinder und sehbehinderter Menschen aus.

Gender-Doppelpunkt

Mit diesen zwei übereinander gelegten Pünktchen habe ich mich bis dato am besten angefreundet. Der Gender-Doppelpunkt hat die gleichen Herausforderungen zu bewältigen wie das Gender-Sternchen – Stichwort Artikel und Pronomen und dergleichen. Der Gender-Doppelpunkt adressiert alle Geschlechter, das ist sehr gut. Außerdem ist er recht komfortabel in den Tipp-Gebrauch einzubinden, da der Doppelpunkt auf der Tastatur auch gut liegt. Gelesen wird der Gender-Doppelpunkt mit dem Glottisschlag – wenn ein Sprachausgabeprogramm hier eine zu lange Pause einlegt, kann das störend sein. Auch haben Menschen mit Sehbehinderung Schwierigkeiten, den im Vergleich zum Sternchen eher schmalen Doppelpunkt zu erkennen. Personen, die gerade erst Deutsch lernen, können irritiert sein, dass der Doppelpunkt mitten in einem Wort kommt – kündigt er doch sonst eigentlich an, dass etwas Wichtiges folgt.

Domingos de Oliveira, der die Website Netz-Barrierefrei.de betreibt, ist blind und bietet seit vielen Jahren Trainings, Schulungen und Beratungen zur Barrierefreiheit im Internet an. Er hält den Gender-Doppelpunkt aktuell für die beste Variante – zumindest für blinde Personen. Dem entgegen hat der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband den Gender-Doppelpunkt auf die Liste der nicht empfohlenen Gender-Kurzformen gesetzt. 😐

Kritiker sagen auch, dem Gender-Doppelpunkt fehle es an der Symbolkraft, die dem Gender-Sternchen aufgrund der vielen Strahlen inne liegt.

+++Update vom 9.11.2022+++

Und dann hat mich „unser“ Haus- und Hof-SEO-Spezialist Veith von k60.com noch auf eine lustige und mir bis dato gänzlich unbekannte, wohl nicht ganz ernst gemeinte Variante hingewiesen, die ich der Vollständigkeit halber hier nicht unerwähnt lassen möchte. Und zwar das

„Entgendern nach Phettberg“

Thomas Kronschläger spricht auf dem Science Slam Vorentscheid Nord über das „Entgendern nach Phettberg“, eine „kurze, auch mündlich einfach verwendbare Form der geschlechtsneutralen Sprache, wenn ich über Personen sprechen möchte, deren Geschlecht ich nicht kenne oder deren Geschlecht gerade nicht relevant ist.“

Der Niederösterreichische Schauspieler, Aktionskünstler, Schriftsteller und Talkshow-Moderator Hermes Phettberg, gebürtig Josef Fenz, hat sich eine besondere Form der geschlechtsneutralen Sprache ausgedacht, die zunächst zum Schmunzeln gereicht, aber dann, wenn man ein wenig darüber nachdenkt, eigentlich gar nicht uncharmant ist. So wird aus „der Leser“ bzw. „die Leserin“ „das Lesy“ (im Plural „die Lesys“). Aus dem/der Raucher_in / Raucher*in / Raucher:in würde „das Rauchy“ bzw. „die Rauchys“. Noch ein Beispiel gefällig? Arzt/Ärztin würde entsprechend zu „das Arzty“ bzw. „die Ärztys“.

Mit dieser Homomorphisierung der Endungen (wenn also alle Endungen gleich sind) spart man sich jegliches Gender-Zeichen und könnte so auch den oben aufgeführten Herausforderungen entfliehen. Je öfter ich mir das anschaue, umso symphytischer fände ich es, sprächen wir einstmals so. Wer sich mit dickem Augenzwinkern ein paar Minuten bei einem Tässchen Kaffee schmunzelnd gönnen möchte, hier bitteschön.

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Gendern beim Schreiben und Sprechen – loslegen oder warten? (M)ein Fazit

Sprache hat sich schon immer entwickelt. Ich werde auch nicht mehr beim Bäcker mit „holde Maid, welch Begehr treibt sie in mein bescheidenes Backhandwerkshaus?“ angesprochen. Ich bin da einer Meinung mit Lann Hornscheidt: Wir finden in der Sprache immer neue Formen, um uns auszudrücken. Mit dem Wandel der Sprache werden Menschen Optionen eröffnet. Ob wir diese dann nutzen, und wie lange es dauert, bis sich ein Wandel in der Sprache durchsetzt – wer weiß das schon?

Es gibt meines Erachtens nur drei Möglichkeiten: Entweder, man findet alles Neue (auch in der Sprache) doof und ist dagegen. Oder man wartet so lange, bis es eine finale Lösung gibt, die der Duden uns als gesetzt vorschreibt. Oder man ist Teil des Wandels.

Ich denke, das Thema Gendern beim Schreiben wird auch in unserem professionellen Umfeld immer mehr zum Thema werden. Es ergibt also durchaus Sinn, sich damit auseinanderzusetzen, und unsere Kund:innen vielleicht zu der einen oder anderen passenden Gelegenheit dahingehend zu sensibilisieren. Auf den eigenen Medienkanälen, den so genannten „earned“ media, kann man sich unbesorgter ausprobieren – so wie wir es hier auf unserem Blog tun. In Fachartikeln, Pressemitteilungen und Co. wird noch etwas mehr Zeit ins Land gehen, um hier (vor allem auch bei B2B-Accounts) ein Umdenken zu erreichen. Aber auch hier gilt es, sich auf den Weg zu machen, zu sensibilisieren und das Thema in die Köpfe zu bringen.

Ich persönlich möchte Teil des Wandels sein, möchte ausprobieren, gestalten, mich auf den Weg machen. Vielleicht biege ich an einer Stelle falsch ab und muss ein Stückchen zurücklaufen, um einen neuen Weg zu wählen. Ist das schlimm? Nein!

Ich weiß, dass ich Fehler machen werde. Und ich hoffe, aus ihnen zu lernen.

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Update vom 8.2.2023

Der WDR hat bei infratest dimap eine repräsentative Studie zum Thema „Gendergerechte Sprache“ in Auftrag gegeben und die Ergebnisse am 6.2.2023 veröffentlicht. Demnach scheint es, als würden die Befragten in Deutschland dem Gendern keine große Wichtigkeit mehr einräumen – vielleicht liegt das an der aktuellen Weltsituation. Für fast zwei Drittel der Menschen spielt gendergerechte Sprache gemäß Umfrage kaum oder gar keine Rolle, das sind etwas mehr als vor zwei Jahren. Jüngere finden gendergerechte Sprache relevanter als ältere Zielgruppen.

Wer sich für die aktuelle Stimmung in Sachen gendergerechte Sprache interessiert, empfehle ich einen Blick auf die Ergebnisse der WDR-Studie hier oder hier.

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Quellen und weiterführende Informationen

 

Titelbild: Kasturi Roy on Unsplash. 

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